9. Juli 2024

Hunderte Männer pilgern, beten und singen gemeinsam

Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger hat das Potenzial von Kirche bekräftigt, gerade in unserer heutigen Zeit geistige Heimat und Orientierung anzubieten. „Was wäre, wenn gerade angesichts der Lage der Kirche und der Seelsorge in unseren wirklich nicht unproblematischen Zeiten, die Kirchen fehlten?“, fragte der Weihbischof an diesem Abend in der Basilika St. Ulrich und Afra während des Festgottesdienstes hunderte Männer, die ans Grab des Bistumspatrons gepilgert waren.

Schon deutlich vor halb acht formierte sich nach und nach bei immer noch hochsommerlichen Temperaturen im Schatten des Doms der Prozessionszug, an dessen Spitze sich Weihbischof Anton und Diözesan-Männerseelsorger Diakon Gerhard Kahl setzten. Wie in jedem Jahr mischten sich die Fahnen und Standarten der kirchlichen Verbände, örtlichen Vereine, Feuerwehren und religiösen Vereinigungen darunter. Mit dem Glockenschlag um 19.30 Uhr wurden die Teilnehmer begrüßt und setzten sich kurz darauf in Richtung Ulrichsbasilika in Bewegung. Hunderte Männer zogen vorbei am Rathausplatz, gemustert und gefilmt von den Passanten, die immer noch in Europameisterschafts-Flair gehüllte Prachtstraße entlang und dem Schrein des Bistumspatrons entgegen. Kurz vor acht zogen die Fahnenabordnungen samt den Wallfahrern unter den Klängen von Ulrichsbläsern und Orgel durch das Hauptschiff vor den Altar und senkten ihre Fahnen vor dem Ulrichsschrein.

Es waren nachdenkliche, aber auch aufrüttelnde Worte, die Weihbischof Anton an die Wallfahrer in der Basilika richtete: Er griff dazu das Bild einer Kirche auf, die übers Land fährt. Denn es sei eine Erinnerung aus der Zeit nach der politischen Wende der 1990er in Deutschland, die ihm auf dem Weg vom Dom über die Maximilianstraße zur Basilika nicht aus dem Kopf gegangen sei: Eine jahrhundertealte Kirche im sächsischen Heuersdorf, die seinerzeit ausgegraben wurde, weil sie dem Braunkohletagebau Platz machen musste und 30 Kilometer entfernt eine neue Heimat fand. Und er fragte sich: „Was bewegt die Menschen – wenn alles um sie herum, was ihnen vertraut und bekannt war, kaputtgehen wird – ausgerechnet ihre Kirche mitzunehmen?“

Für Weihbischof Anton stellte sich die Antwort darauf „so kompliziert wie einfach“ dar, denn die Kirche sei mehr als ein Haus aus Stein. „Sie steht für eine geistige Heimat. Sie steht für ein tragendes Fundament im Leben von Generationen von Menschen, für eine Wurzel aus der heraus eine Gesellschaft ihre Kraft bezieht und sie steht für Werte, Ziele, Trost, die Menschen tragen und stützen.“ Letztlich stehe sie für die wichtigste aller Fragen der menschlichen Existenz: Die Frage nach dem Sinn des Lebens, so der Weihbischof.

Mit Blick auf das Angebot von Orientierung und Halt in einer Zeit, die unübersichtlicher, schwieriger, digitaler und gefährlicher geworden sei als das in früheren Generationen der Fall war, widmete er sich in seiner Predigt besonders den jungen Menschen, die immer häufiger in Familien aufwachsen, in denen es keine Antworten auf ihre religiösen Sinnfragen gäbe, weil die Eltern es selbst nicht gelernt haben, weil eine Oma fehlt, die ein Gute-Nacht-Gebet vorsagen oder die wundervollen Jesus-Geschichten vorlesen könnte, so der Weihbischof. Wer nun aber meine, dass 90 Minuten Religionsunterricht in der Schule das, was von klein auf nicht geschenkt wurde, ersetzen könne, der greife nach Ansicht des Weihbischofs zu hoch.

So fordert der Weihbischof für die Zukunft, dass junge Menschen nicht nur die Kulturtechniken der Menschheit erlernten, mit Laptops ausgestattet, digital gebildet und in den Lerntechniken optimiert würden: „Was wir heute brauchen, ist im Bild gesprochen eine Kirche die übers Land fährt. Wir brauchen eine Gesellschaft mit Sinnantworten, die tragen und Glaube, der stützt! Wir brauchen heute vielleicht nichts dringender als je zuvor Werte, Orientierungen, Ziele und eine geistige Heimat für heimatlose Menschen!“, gab er den versammelten Männern, darunter Familienväter und Großväter, die nach dem Gottesdienst wieder in ihre Gemeinden und Pfarreien zurückkehrten, als Botschaft mit auf den Heimweg.

Diakon Gerhard Kahl Grund bedankte sich am Ende des Gottesdienstes bei allen Beteiligten, die zum reibungslosen und stimmungsvollen Ablauf der Männerwallfahrt ihren Teil beigetragen haben. Einen besonderen Dank richtete er an die Musikkapelle Osterbuch, die Ulrichsbläser und Kirchenmusiker Peter Bader an der Orgel, die der Wallfahrt ihren musikalisch-festlichen Rahmen gaben. Dieser endete auch heuer wieder mit einem Ulrichslied „Streiter in Not, Helfer bei Gott“, das hunderte Männerkehlen in den Innenraum der Basilika schmetterten.

Darunter waren 22 Männer, die in den vergangenen 24 Stunden eine längere Wallfahrtsstrecke hinter sich gebracht hatten, nahmen sie doch seit gestern Abend den Weg von Türkheim nach Augsburg unter die Füße: Zusammen mit den Männerseelsorgern Diakon Gerhard Kahl und Franz Snehotta pilgerten sie die Nacht hindurch 60 Kilometer zum Grab des heiligen Ulrich – in Stille, im Gebet und in Gemeinschaft vereint. Für Männer, die eine besondere Herausforderung suchen, gibt es dieses besondere Angebot seit fast zwanzig Jahren.

Ulrichswoche_Predigt von Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger zur Männerwallfahrt

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