Das Kunstwerk
Mit dem Ohr des Herzens
Mein Entwurf für das Logobild zum Jubiläum möchte den hl. Ulrich als Helfer in der Not zeigen, der die Menschen insbesondere in den aktuellen Krisen und in ihren existenziellen Nöten begleitet.
„Mit dem Ohr des Herzens“ zu hören ist gleichzeitig eine Einladung, um den Menschen die Kraft zu geben, mit ihrer eigenen Leidensgeschichte das Vertrauen in das Leben und ihre Selbstheilungskräfte wieder zu finden. So gestärkt, werden sie erkennen, dass der Glaube sie immer begleitet und trägt. Ausgangspunkt meines Werkes ist die aktuelle Krise mit der existenziellen Not von Corona-Intensivpatienten und Long Covid-19-Patienten, die gerade im Kampf um ihr Leben sind und große Zweifel haben, weil sie nicht wissen, worauf sie ihre Hoffnung richten können.
Bei der Beschäftigung mit dem Leben und Wirken des hl. Ulrich ist mir klar geworden, dass schwere Krisen sich immer wiederholen. Auch Ulrich trat ein schweres Erbe an, als er Ende 923 das Bischofsamt übernahm. Auch er musste sich mit der Frage auseinandersetzen, wie er die religiöse und wirtschaftliche Krise überwinden könne. Was ihn antrieb war seine tiefgeistige und geistliche Einstellung. Er übernahm die Initiative, war Vorbild, nahm seine Rolle als Hirte konkret wahr: „Hungernde und Dürstende mit Speise und Trank zu laben, Nackte zu bekleiden, Kranke und Sieche zu besuchen, Armen und Obdachlosen Unterkunft und alles, wessen sie bedürfen, um der Liebe Christi willen zu geben und den Witwen und Waisen beizustehen.“ (Peter Rummel, Ulrich von Augsburg, Augsburg 1992, Seite 60).
Für mich symbolisiert die Kasel des hl. Ulrich diese Begleitung für die Menschen. Der Entwurf nimmt deshalb die Form der Ulrichskasel als Schutz und Fürsorge nicht nur für die Armen und Notleidenden, sondern für jeden Einzelnen auf.
Denn die Pandemie hat, wie jetzt gerade auch der Krieg in der Ukraine, gezeigt, dass alle gleichermaßen betroffen sind und jedem Einzelnen Solidarität mit der Gemeinschaft abverlangt wird. Konkret zeigt der Entwurf die künstlerische Umsetzung einer Röntgenaufnahme eines Corona-Patienten. Angeregt von der Durchsichtigkeit des Röntgenbildes möchte ich die Verletzung des Lungentraktes offenlegen und zugleich das Leiden durch die Kraft und die Leichtigkeit der abstrakten Zeichnung lösen. Die verwendeten Stoffe stammen von der Bettwäsche einer Corona-Patientin und von einem gebrauchten Altartuch aus der Basilika St. Ulrich und St. Afra. Auch Ulrichs Sorge galt stets einer feierlichen und würdigen Gestaltung der Liturgie, noch mehr aber den ihm anvertrauten Menschen, den Geistlichen und Laien. Beide Textilien deuten also die körperliche und geistliche Erschöpfung an.
Beide Stoffe sind in der Mitte nicht glatt, sondern ins Tuch genähte Falten weisen auf Störungen hin. Äußere Hülle und inneres Gerüst passen nicht mehr zusammen. Die eingearbeiteten Falten symbolisieren die seelische Anspannung, Verzweiflung und Ängste, die jeder Mensch in einer Krisensituation tragen muss. Eingenähte Goldfäden symbolisieren die Taten des hl. Ulrich, seine praktizierte Nächstenliebe: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.“ Auch die goldenen Fäden sollen Heilung und Zukunft symbolisieren und ermöglichen. Gold steht für Ewigkeit, ist ein Hinweis auf Gott, der neues Leben schenkt. Sie verweisen zugleich auf die Wunden der größeren Krise der Pandemie: Es fehlt jetzt ein anderer Glaube, einer, der uns in der Gefahr trägt, erhebt, erleuchtet und leitet.
Die Abstraktion der Formen und die Reduktion in der Farbigkeit geben dem Betrachter die Ruhe, sich in die Formen einzusehen und einzutauchen, die Störungen regen zum Nachdenken an. Die symbolische Ebene soll offen empfunden werden und eigene Assoziationen wie ein Ziel, eine Vision und eine Hoffnung ermöglichen, um die Gegenwart zu ertragen und die Zukunft zu gestalten.
Lilian Moreno Sánchez
Geistliche Betrachtung zum Kunstwerk
Angenommen, Sie hätten die Aufgabe, Ihr Leben mit nur wenigen Strichen zu zeichnen. Was wären die entscheidenden Grundlinien, was die besonderen, individuellen Linien Ihres Lebens? Das Kunstwerk von Lilian Moreno Sánchez setzt diese Aufgabe ins Bild. Seine Botschaft lässt sich mit Grundlinien des christlichen Glaubens, des alltäglichen Lebens sowie den Lebenslinien des heiligen Ulrich verbinden.
Die Form des Kunstwerks und damit die äußeren Linien ahmen einen Schutz- mantel nach. Er steht für Schutz, Geborgenheit, Nähe, Solidarität und Hoffnung.
Viele Worte bzw. Bilder aus der Bibel sagen dem Menschen den Schutz Gottes zu; beispielsweise mit dem Motiv des Hirten. In Psalm 23 heißt es: „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen.“ In den Herzen vieler Menschen wohnen diese wertvollen Worte. Jesus sagt schließlich im Johannesevangelium von sich: „Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ (Joh 10,14)
So vertrauen Christen, dass ein Größerer mit ihnen ist und sie von der Liebe des guten Hirten umschlossen sind.
Auch Worte und Taten von Mitmenschen, die ihr Herz für diese frohe Botschaft öffnen, lassen diese Nähe bzw. den Schutz Gottes erahnen; der heilige Ulrich zählt zu diesen Menschen. Er trug als Bischof nicht nur äußerlich ein Hirtengewand, das an einen Schutzmantel erinnert.
Ulrich war an seinem Ort von ganzem Herzen ein Hirt. Nach dem Vorbild des guten Hirten erfüllte er treu und fürsorglich seinen Dienst. In seiner Zeit war der Heilige solidarisch für die Seinen da, durch sein Wirken führte er sie zum wahren guten Hirten, der seine Nähe und seinen Schutz verheißen hat. Das ist die zeitlose Hoffnung und Freude eines Christen.
Jedoch fühlen wir uns im Leben oftmals schutzlos. Vielfältige Nöte bedrängen uns: Krankheit, Krieg oder anderes Leid. Im Kunstwerk ist dieses Leid durch die schwarzen Linien ausgedrückt: Wie diese unregelmäßig und verschlungen das Bild durchziehen, so bringen die Nöte der Welt unser Leben immer wieder in Unruhe – eine Erfahrung, die auch die Menschen zur Zeit des heiligen Ulrich machten.
Und nicht nur äußere Nöte, sondern auch innere Leiden, wie Einsamkeit und Verzweiflung, rütteln an unserem Herzen; sie drohen, das dort verankerte Vertrauen auf Gottes Schutz und seine Hirtensorge ins Wanken zu bringen. Zusätzlich erleben wir, dass die Kirche „hin- und hergerissen ist“.
Wie verletzlich wir sind, erleben wir nicht zuletzt auf gesellschaftlicher Ebene z. B. durch die Corona-Pandemie. Diese Verletzlichkeit spiegelt sich auch im Kunstwerk wider, da die schwarzen Linien das Röntgenbild der Lunge eines Corona-Kranken nachzeichnen.
Wie kann angesichts all dieser Not und Zerbrechlichkeit unser Leben dennoch von Hoffnung, Freude und Vertrauen auf den guten Hirten erfüllt sein? Wie können wir in der Welt dafür Zeuginnen und Zeugen sein?
In der Mitte finden sich zwei goldene Linien, die sich zu einem Kreuz verbinden. Das Kreuz steht für die unendliche Liebe Gottes. Der erlösungsbedürftige Mensch darf sich von den ausgebreiteten Armen des Gekreuzigten umschlossen wissen. Der Längsbalken des Kreuzes macht deutlich: Der Sohn Gottes selbst hat in seiner Menschwerdung Himmel und Erde verbunden, er ist hin- abgestiegen in die Finsternis der Verlassenheit und des Todes. Doch durch seine Auferstehung hat er diese besiegt.
Das Gold der Kreuzlinien erinnert an das Licht bzw. die Hoffnung des Ostermorgens. Das Licht ist stärker als die Finsternis. Im Letzten sind die „dunklen Lebenslinien“ von Gott erhellt.
Der heilige Ulrich hat an diese befreiende und lichtreiche Botschaft geglaubt und sie als guter Hirt bezeugt. Er hat sich an der Botschaft des Kreuzes auf-
gerichtet und festgehalten. Nach seinem Vorbild können die Nöte und Herausforderungen des alltäglichen Lebens mit den österlichen Linien des Kreuzes, mit der Hoffnung auf den Schutz des guten Hirten verbunden werden.
Schließlich gilt der Blick der goldenen Linie, die den Querbalken des Kreuzes bildet. Dieser durchzieht zwei verschiedene Stoffe – auf der einen Seite die Bettwäsche einer Corona-Patientin, auf der anderen das gebrauchte Altartuch aus der Basilika St. Ulrich und St. Afra in Augsburg.
So wie der Querbalken die beiden Stoffe verbindet, so ist auch in den Lebens-linien des heiligen Ulrich die Not des Lebens stets mit dem Glauben verknüpft; aus seinem Glauben schöpfte er als Bischof die Kraft, „mit dem Ohr des Herzens“ für die Menschen in Not ein guter Hirte zu sein – im Sinne der Worte Jesu im Matthäusevangelium:
„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)
Das Kunstwerk ist eine Einladung, die Grundlinien des Glaubens in unserem Leben immer wieder „nachzuzeichnen“ und uns dabei die Lebenslinien des heiligen Ulrich zum Vorbild zu nehmen. Er sei unser Fürsprecher.
Pfarrer Reinfried Rimmel
Dipl.-Theol. Katharina Weiß