6. September 2023

Mit dem Bistumspatron nach Europa

Der heilige Ulrich war ein Mensch mit vielen Facetten – Geistlicher und Feldherr, Seelsorger und Sozialpolitiker, als Bischof vor Ort und zugleich mit weitem geistigen Horizont. Genau diese überregionale Bedeutung des Heiligen, ohne den die europäische Geschichte wohl einen ganz anderen Verlauf genommen hätte, inspirierte das Bischöfliche St.-Ulrich-Komitee zu einer Studienreise in die „Hauptstadt Europas“ Brüssel.

Für den geistlichen Begleiter der Studienreise, Domkapitular Dr. Thomas Groll, bot sich in den fünf Tagen der Brüsselfahrt dabei ein „großartiges Erlebnis mit einer tollen Gemeinschaft“. Die hochkarätigen Gesprächspartner hätten die siebzehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei in vielfacher Weise mit den Problemen und Chancen Europas vertraut gemacht. Für den Reiseorganisator und Geschäftsführer des Ulrichskomitees Dr. Christoph Goldt war dabei auch der Blick hinter die Kulissen von EU und NATO wichtig. Nicht zufällig sei als Beginn der fünftägigen Reise dabei der 60. Todestag des ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Robert Schuman ausgewählt worden, so sei dieser schließlich nicht nur einer der Gründerväter der Europäischen Union und eine wichtige Gestalt in der deutsch-französischen Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen: Tatsächlich war Schuman bereits 1955 zur Tausendjahrfeier der Lechfeldschlacht in Augsburg, wo er eine Rede über das „vernünftige Wagnis Europa“ hielt.

Dieses „vernünftige Wagnis“ galt es im Laufe der folgenden Tage näher in Augenschein zu nehmen. Erste Anlaufstelle war dabei der gebürtige Augsburger und langjährige Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU/EVP), der in seinem Gespräch mit der Reisegruppe die „historische Mission Europa“ betonte. Offen wurde dabei über aktuelle Herausforderungen und Probleme der Union diskutiert wie etwa die künftige europäische Afrikapolitik, das Fehlen einer geeinten Migrationspolitik oder das Aufkommen populistischer Anti-EU-Strömungen in den Mitgliedsstaaten. Für Ferber sei dabei aber weiterhin klar: „Unterm Strich nützt Europa viel mehr, als es sich in Zahlen überhaupt ausdrücken lässt!“

Bei einem Besuch in der bayerischen Landesvertretung – stilecht mit Maibaum und Bierkeller – konnten die Teilnehmenden dabei von Bildungsreferent Dr. Marc Jäger mehr über die Arbeitsweise der Europäischen Union und das Wirken des Freistaats in das komplizierte Unionsgefüge hinein erfahren. Die kirchliche Präsenz in Brüssel stand dabei am darauffolgenden Tag im Vordergrund. Mit dem COMECE-Generalsekretär Dr. Manuel Prieto sowie dem Apostolischen Nuntius bei der Europäischen Union, Erzbischof Noël Treanor, konnten dabei die beiden wichtigsten Repräsentanten der Katholischen Kirche in Europa als Gesprächspartner gewonnen werden. Während der aus Madrid stammende Generalsekretär Prieto über die vielfältige Arbeit der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) berichtete, konnte der irische Nuntius Treanor dabei von seiner Rolle als päpstlicher Diplomat in Brüssel erzählen. Eine besonders wichtige Rolle spiele dabei der Artikel 17 im Vertrag über die Arbeitsweise der EU, in dem das Verhältnis zwischen Union und Religion bzw. den Glaubensgemeinschaften definiert wird. Dass dieses Miteinander nicht immer einfach sei, betonten beide, und doch werde immer wieder deutlich: „Die Kirche wird auf europäischer Ebene wirklich gehört!“

Mit Besuchen bei der Europäischen Kommission und dem NATO-Hauptquartier konnte abschließend ein Einblick in die Arbeit zwei der wichtigsten politischen Akteure weltweit gewonnen werden. Auf europäischer Ebene traf sich die Reisegruppe dabei mit fünf Kommissionsbeamten um den Hauptberater in der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen, Dr. Markus Schulte. In dem Gespräch ging es dabei vor allem um die anhaltende Wirkung der katholischen Soziallehre auf das Wirtschafts- und Finanzgefüge der Europäischen Union sowie die Frage nach der Rolle religiöser Werte in Europa, von der Katharina von Schnurbein als Kommissionsbeauftragte für Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens berichten konnte. Die Rechtsexperten Benjamin Hartmann und Dr. Leopold Mantl betonten, dass die EU auch weiterhin ein laufendes Projekt sei: „Europa ist das, was wir daraus machen!“, während der früher für die Ukraineunterstützung der Kommission zuständige Georg Ziegler schließlich über die vielfältigen Unterstützungsbemühungen seitens der EU gegenüber der Ukraine sprach.

Die Ukraine war auch beim letzten Besuch im NATO-Hauptquartier das zentrale Thema. Der Stellvertreter des Ständigen Vertreters Deutschlands bei der Militärallianz, Dr. Robert Dieter, betonte in dem hochspannenden Gespräch die Vielfältigkeit der aktuellen Herausforderungen, denen sich die NATO ausgesetzt sähe. Neben den militärischen Fragen, die sich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ergäben, war ihm dabei aber vor allem der Blick auf die Zeit nach dem Krieg wichtig: Wie könnte eine neue Friedensordnung in Europa aussehen, beziehungsweise ist diese nach der „Zeitenwende“ des 24. Februars 2022 überhaupt möglich? Antworten darauf gäbe es noch keine, und doch sei dies für ihn eines der wichtigsten Probleme überhaupt, für das die Allianz Lösungen finden müsse: „Danke, dass Sie sich auch darüber Gedanken machen!“

Am Ende der Reise stand für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schließlich ein besseres Verständnis für die Komplexität des „vernünftigen Wagnisses Europa“. Dr. Christoph Goldt sah darin einen der Kernbestandteile europäischer Politik: „Keinen Fantasien nachzuträumen, sondern die Realität zur Kenntnis zu nehmen und daraus dann Rückschlüsse zu ziehen für eine sachorientierte und den Menschen dienende Politik!“ Der Kirche komme dabei ein besonderes Gewicht zu, vor allem für die Frage der Schaffung und Erhaltung Europas als bleibenden Friedensraum – oder um es mit einem weiteren Zitat des auf dem Weg zur Seligsprechung befindlichen Robert Schuman zu sagen: „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“

Bild: Julian Schmidt/pba

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